Welche Fehler man vermeiden sollte
Jeder Hund ist anders. Meine Hündin Grace ist sehr flexibel, fährt Bus und Bahn, liegt im Restaurant still unter der Bank und kann fast überall, wo es erlaubt ist, ohne Leine laufen. Auch unfreiwilliges Streicheln von Fremden nimmt sie meist klaglos hin. Silvester ist für sie allerdings ein Graus und verwandelt die entspannte Hundedame in ein zitterndes Etwas. Hingegen Rosi, die bei Silvester auf der Terrasse steht und sich über die ganze Aufregung wundert, ist außer sich, wenn sich ihr jemand nähert, gar die Hand nach ihr ausstreckt der ein fremder Hund zur überfallartigen Begrüßungsfreude ansetzt. Und dann gibt es noch Kurt. Er mag Alles und jeden, ist immer fröhlich und freundlich, hat aber noch mit zwei Jahren unter sich gemacht wenn Besuch kam.
Wie Hunde mit Aufregung, neuen Eindrücken und Erfahrungen umgehen hängt natürlich nicht nur von Training und anderen Sozialisierungsmaßnahmen ab, sondern auch maßgeblich von Faktoren, die wir nur bedingt beeinflussen können. Etwa ihrer genetischen Veranlagung, dem Einfluss des Muttertieres und der Verlauf der Trächtigkeit. Sogar die Anzahl der Rüden innerhalb eines Wurfes kann Einfluss auf das spätere Verhalten haben. Dennoch können wir natürlich versuchen, unseren Hund möglichst gewissenhaft an unseren Alltag zu gewöhnen.
Wenn Sie Ihren Hund ein wenig fordern möchten, ohne ihn zu überfordern, sollten Sie diese 6 Fehler vermeiden.
Fehler 1: Den Hund in stressige oder furchteinflößende Situationen zwingen
Sozialisation ist das A und O der Hundeerziehung. Man hört immer wieder, wie wichtig es ist, seinen Hund frühzeitig und häufig mit neuen Situationen zu konfrontieren und denken dabei eventuell etwas zu groß. Damit ist nicht gemeint, den unerfahrenen Tierschutzhund quer durch die Stadt zu führen oder mit einem Hund, ohne jede Spielerfahrung mit anderen Hunden, an einem Samstagvormittag auf die Hundespielwiese zu gehen. Im besten Fall ist der Vierbeiner aufgedreht und weiß garnicht, mit wem er zuerst toben soll. Im schlechtesten Fall aber auch völlig überfordert und die Erinnerung an die Stadt, den Hundepark oder die Menschenmenge am Straßenfest ist keine schöne. das Gleiche gilt übrigens für
Welpengruppen oder andere Veranstaltungen, die dem "Sozialspiel" der Hunde gelten. Nicht jeder Hund hat Spaß daran, sich mit mehreren spielwütigen Artgenossen gleichzeitig auseinanderzusetzen. Stattdessen sind kleine Schritte viel effektiver. Vielleicht erstmal eine Gassirunde durch's Wohngebiet. Auch hier warten genügend Eindrücke. Oder statt der Hundespielwiese erstmal ein gemeinsamer Spaziergang mit einem anderen Hund und ein, zwei kleinen Freilaufphasen. Lieber viele kleine Eindrücke in Situationen sammeln, die weniger chaotisch sind und die man zügig verlassen kann, wenn es zu viel wird, als das große Event suchen. So haben Sie auch Gelegenheit, Ihren Hund besser kennenzulernen und können einzelne Stressauslöser einfacher identifizieren.
Fehler 2: Kein Budget für Training einplanen
Viele Hundefreunde sind bereit, Unsummen für den einen, besonders seltenen Rassehund auszugeben, fahren hunderte Kilometer, teilweise sogar ins Ausland, um den "perfekten" Hund zu kaufen.
Auch für die verrücktesten Accessoires wird Geld ausgegeben und Stunden in die Online-Suche nach dem besten, orthopädischen Liegekissen für den Vierbeiner investiert. Ist der Hund dann da und Alles läuft reibungslos, ist das toll. Jedoch muss auch der Hund mit den besten genetischen Voraussetzungen lernen, was von ihm gewünscht wird und was nicht. Deswegen: Planen Sie nicht nur ein finanzielles Polster für den Fall ein, dass Sie
auf ein Einzeltraining angewiesen sind, sondern auch entsprechend Zeit.
Damit Ihr Hund so gut erzogen ist, wie Sie es sich wünschen, benötigt er täglich Anleitung und Training durch seine direkte Bezugsperson. Dies kann Ihnen auch ein guter Hundetrainer nicht abnehmen.
Auch Gruppenstunden können eine gute Wahl für Hundehalter sein, die ihren Hund wunderbar alleine erziehen können. In Anwesenheit anderer Hunde und Menschen, lassen sich die Signale nochmal intensiver festigen und neue Übungen bringen Abwechslung in Ihr Training zu Hause.
Fehler 3: Keinen Notfall-Plan haben
Manche Situationen sind einfach zu stressig für den jeweiligen Hund oder entwickeln sich ganz anders als geplant. Als ich vergangenes Wochenende einen kurzen Stopp an der Kleinmarkthalle machen wollte, stand ich mit Kurt, bei schönsten Wetter, mitten in einer weinhungrigen Menschenmasse. Damit hatte ich nicht gerechnet und musste schnell reagieren, bevor Kurt selbst entschied, die Flucht zu ergreifen. Wen Ihr Hund hechelt, mit eingezogener Rute und zitternd neben Ihnen hergeht, oder durch wildes bellen versucht, sich Abstand zu verschaffen oder einfach nur mit großen Augen und fiepend nach dem Loch im Boden sucht, in welchem er verschwinden könnte, ist er eindeutig überfordert und muss aus der Situation genommen werden.
Sie selbst kennen Ihren Hund am besten.
Sehen Sie Anzeichen von starkem Stress, benötigt Ihr Hund Ihre Hilfe. Versuchen Sie nicht, ihn zu beruhigen, sondern verlassen sie möglichst ruhig aber zügig die Situation. Auch starkes Ziehen an der Leine oder wenn Ihr Hund nicht mehr auf seinen Namen reagiert, kann ein deutliches Anzeichen für Stress sein. Bereiten Sie sich auf solche Eventualitäten vor. Treffen Sie Notfall-Entscheidungen im voraus. Hat Ihr Hund beispielsweise Probleme mit Hundebegegnungen, sollten Sie sich vorher einen Plan zurecht legen, wie Sie reagieren, wenn Ihnen auf dem Bürgersteig ein Hund entgegen kommt. Gehen Sie an den Rand? Wechseln Sie die Straßenseite? Wieviel Abstand benötigt Ihr Hund für gewöhnlich usw. So vermeiden Sie, dass Sie selbst unter Stress geraten und wertvolle Zeit damit verschwenden, nach einer Lösung zu suchen.
Fehler 4: Einen ängstlichen Hund korrigieren oder bestrafen
Hunde können in Stresssituationen unterschiedlich reagieren: Von Flucht, Ziehen an der Leine, nicht mehr ansprechbar sein, sich verkriechen und kleinmachen über knurren, bellen oder schnappen.
Das gestresste Hirn kann nicht denken. Selbst, wenn Ihre Korrektur gerechtfertigt erscheinen mag, wird sie keinen positiven Lerneffekt bewirken. Im Gegenteil. Sie stressen Ihren Hund nur noch mehr. Fühlt er sich bedroht, eingeengt oder hat Angst, verstärken sie sein Gefühl nur noch mehr. Sie gießen also noch mehr "Öl ins Feuer" und sind somit unter Umständen sogar ebenfalls ein Auslöser für unerwünschtes Verhalten.
Und vor allem haben Sie sein Problem nicht gelöst, obwohl Sie ihn in diese Lage gebracht haben. Lassen Sie sich nicht dazu hinreißen, mit Ihrem Hund zu schimpfen, nur um anderen Menschen zu signalisieren, dass Sie das verhalten Ihres knurrenden oder bellenden Hund ebenfalls nicht gut finden. Versuchen Sie stattdessen möglichst zügig, den Abstand zum Auslöser zu vergrößern. Der optimale Abstand ist genau an der Stelle, an welcher Ihr Hund ansprechbar ist, einfache Signale ausführen kann und den Auslöser dennoch wahrnimmt. Belohnen Sie Ihren Hund, wenn er trotz Aufregung auf Sie reagiert.
Fehler 5: Die Kleinigkeiten außer Acht lassen
Hunde lernen in jeder Sekunde. Also nicht nur dann, wenn wir gut vorbereitet losmarschieren und uns vornehmen, heute ganz besonders konsequent zu üben. Haben Sie ein Auge auf die alltäglichen Routinen. Rennt Ihr Hund immer zuerst aus der Tür und zerrt Sie bis zur Hundewiese hinter sich her und das Üben beginnt erst auf dem Heimweg? Gehen Sie immer die gleiche Runde um den Block und Ihr
Hund kennt an dieser Strecke jeden Grashalm?
Gestalten Sie den Alltag abwechslungsreich und verändern Sie jeden Tag eine Kleinigkeit. Suchen Sie neue Strecken und nehmen Sie Ihren Hund mit in Ihren Alltag. Natürlich so, dass er die vielen neuen Gerüche, Geräusche und Eindrücke verarbeiten kann und nicht überfordert wird.
Fehler 6: Überzogene Erwartungen
Muten Sie Ihrem Hund keine Situationen zu, die ihn überfordern und auf die er nicht vorbereitet wurde, nur weil Sie beobachten, wie andere Vierbeiner ganz entspannt auf dem Wochenmarkt stehen, geduldig vor dem Supermarkt warten, souverän und freundlich über die Hundewiese tollen oder sich über jede Streicheleinheit in der U-Bahn freuen. Während meiner Arbeit begegnen mir fast täglich Hunde und Menschen, die eigentlich ein tolles Team sind, aber an unrealistischen Vorstellungen vom Leben mit Hund scheitern. Ja, es gibt diese Hunde, die überall dabei sind, immer freundlich oder desinteressiert, immer ohne Leine und einfach nur lieb. Wenn sie ein solches Exemplar erwischt haben: Glückwunsch.
Falls Sie keinen solchen tiefenentspannten Hund haben: Fragen Sie sich ob das wirklich das Richtige für Sie wäre? Denn tiefenentspannte Hunde sind dies meist auch, wenn man enthusiastisch trainieren möchte.
Vielleicht passt das garnicht so zu Ihnen und die Wandertouren mit dem unermüdlichen Abenteurer an ihrer Seite sind doch auch was wert, oder? Es ist nicht die Regel, dass Hunde sich ohne Probleme einfach so in unseren hektischen Alltag integrieren. Besonders nicht in der Stadt. Genießen Sie das, was klappt und Ihnen beiden Spaß macht und arbeiten Sie ohne Druck und in kleinen Schritten an den Veränderungen, die Ihnen wirklich wichtig sind. Und lassen Sie los: Vielleicht ist Ihr Hund wirklich lieber ein paar Stunden alleine in seinem gemütlichen Körbchen, als beim lauten Italiener um die Ecke auf dem zugigen Boden zu liegen? Und die Einkäufe in der City sind ohne Hund auch schneller erledigt. So bleibt mehr Zeit für eine Extra-Runde durch den Wald oder für die Suche nach neuen, passenden Gassirunden, die ihren Hund individuell fordern.
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