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Schadet positives Denken deinem Hundetraining?

Es ist ja allgegenwärtig, dass positives Denken das Nonplusultra ist. Diese Haltung macht auch vor dem Hundetraining nicht kehrt und wer bei jeder Hundebegegnung kurz vor der Ohnmacht steht, steht auch mit seiner pessimistischen Herangehensweise ziemlich allein da. 

Wenn unser Hund in bestimmten Situationen nicht perfekt funktioniert, stresst uns das, macht unsicher und oft schon nach kurzer Zeit, erwartet man den Fehler des Hundes dann schon, bevor überhaupt irgendwas passiert ist. Bei manchen meiner Klientinnen reicht schon der Gedanke an die nächste Gassirunde, um negative Gefühle und Befürchtungen zu erzeugen. Der allgemeine Tipp lautet dann meistens: "Geh doch mal positiv ran, ist doch noch garnix passiert, läuft doch Alles."

Dabei spielt es keine Rolle, ob dein Hund in bestimmten Situation ernsthaft gefährdendes Aggressionsverhalten zeigt, immer an der gleichen Ecke abhaut oder einfach nur keine 2 Sekunden ruhig im Café sitzen bleiben kann und jeden vorbeigehenden Hund schreiend vor Freude begrüßen möchte. Wer damit rechnet, dass es jetzt gleich ganz blöd, ganz gefährlich oder ganz peinlich wird, liegt mit seiner Einstellung mal so garnicht im Trend und wird gerne mitleidig belächelt. Schließlich ´könnte man das Ganze doch mal positiv sehen. Stimmt auch manchmal irgendwie, aaaaaaber:

Pessimisten stehen allein da

Dabei ist es sehr klug, sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen, was im Ernstfall passieren könnte und welche Konsequenzen das hätte. Sei es nun, dass dein Vierbeiner manchmal einfach sehr stürmisch ist, dabei aber immer gut drauf und freundlich, ob er sicher gleich wieder auf den Tisch springt, um dem Gast sein eben serviertes Stückchen Kuchen zu klauen, einfach nur doll an der Leine zieht oder andere Hunde nicht leiden kann. Erst recht nicht, wenn die Spaß haben.

Pessimisten, die sich stetig bemühen, die negativen Gedanken über das, was passieren könnte, zu verdrängen und sich stattdessen zwingen "positiv zu denken", verbrauchen dabei unendlich viel Energie. Energie, die in der eigentlichen Situation dann fehlt und ein Verhalten, dass langfristig zu Stress und Überforderung führt.

Aber wird nicht immer davon gesprochen, dass eine optimistische Grundeinstellung sogar dabei hilft, Krankheiten besser zu bewältigen? Wer in eine Buchhandlung geht, kann die Ratgeber zum positiven Denken nicht übersehen. 

Für positives Denken ist unser Gehirn viel zu raffiniert

Unser Gehirn funktioniert aber anders und lässt sich nicht so einfach austricksen. Denn wenn du geradewegs in eine Hundebegegnung steuerst und dein Vierbeiner dabei regelmäßig seine uncharmante Seite präsentiert, du dabei aber versuchst vom besten Fall auszugehen, passiert Folgendes: Dein Gehirn sucht sofort nach allen möglichen Gegenargumenten, also nach Gründen, weshalb genau diese Hundebegegnung möglicherweise besonders blöd verlaufen könnte. Dieser Effekt ist vergleichbar mit dem Spiel, bei welchem man jemanden auffordert an etwas bestimmtes auf keinen Fall zu denken, beispielsweise an einen eskalierenden, bedrohlich bellenden Hund. Es ist unglaublich anstrengend, dieses Bild immer wieder zu verdrängen und stattdessen an etwas Positives zu denken. Selbst, wenn du dir jetzt vornimmst, dir den Hund, der eben vor deinem inneren Auge aufgetaucht ist, als freundlich wedelnden Vierbeiner vorzustellen, mit hechelndem Mäulchen und fröhlich wippenden Öhrchen, wird sich das vorherige Bild immer wieder dazwischen drängeln. Der Psychologe Daniel Wegner bezeichnet dieses Phänomern als "ironischen Prozess".

Ein Versuchsaufbau bestätigt die Erkenntnis, dass positives Denken nicht unbedingt die gewünschten positiven Effekte erzeugt. Versuchspersonen wurden in zwei Gruppen eingeteilt. Gruppe A sollte an eine schmerzhafte Situation denken und dabei bewusst nicht traurig sein. Gruppe B sollte ebenfalls an eine schmerzhafte Situation denken, bekam aber keine Anweisung dazu, wie sie sich dabei fühlen sollten. Das Ergebnis war erstaunlich, denn man könnte meinen (und das gerade, wenn man sich schon mal mit der positiven Konditionierung von Hunden befasst hat), dass es den Personen, die bei der Erinnerung an eine schmerzhafte Situation nicht traurig sein sollten, besser ging. Aber das Gegenteil war der Fall. Den Probanden der Versuchsgruppe B, welche keine Anweisung zu ihren Gefühlen erhielten, ging es wesentlich besser als der Vergleichsgruppe.

Im Übrigen spricht einiges dafür, dass man auch bei Hunden Emotionen nicht so einfach "umkonditionieren" kann. Jedenfalls nicht auf direktem Wege.

Positives Denken kann negative Gedanken verstärken

Joanne Wood, ebenfalls Psychologin, fand heraus, dass das Selbstbewusstsein von Studenten sank, umso häufiger sie den Satz "Ich bin eine liebenswerte Person" wiederholten. Warum ist das so? Auch hier kommt wieder der ironische Prozess zum Tragen, denn das Gehirn der Studenten suchte immer wieder nach Gegenargumenten, weshalb dies nicht der Fall sei. 

Joanne Wood schließt daraus, dass es eher schädlich ist, gegen seine Natur zu denken. Wenn man sich in schwierigen Situationen (Oh nein, ein Hund)  oder bezüglich belastender Glaubenssätze (mein Hund wird garantiert ausrasten) dazu zwingen muss, positiv zu denken (Passiert schon nix), trainiert man sein Gehirn darauf, Alles darauf abzusuchen, was dem positiven "Passiert schon nix" im Wege stehen könnte. Der Fokus liegt dann also genau auf dem, was alles Anzeichen dafür sein könnten, dass eben doch etwas passiert (Warum ist der Hund nicht angeleint, der andere Hundehalter achtet ja garnicht auf seinen Hund, hat der Hund uns gerade angestarrt, mein Hund ist auch schon ganz verkrampft, mein Hund zieht an der Leine usw.) und wir schenken negativen Befürchtungen mehr Aufmerksamkeit als es nötig ist.

Visualisierung

Anstatt positiv zu denken, könnte es ja helfen, sich vorzustellen, wie (um bei dem Beispiel zu bleiben) entspannte Hundebegegnungen mit meinem Hund aussehen könnten. Aber auch hier, hat sich gezeigt, dass das im Fall von einer angestrebten Veränderung kontraproduktiv sein kann. Denn, wenn wir uns ein positives Endergebnis ausmalen, macht ein Teil unseres Gehirns daraus, dass wir das Ziel bereits erreicht haben. Unsere Motivation sinkt und wir strengen uns unbewusst weniger an. Das bedeutet nicht, dass Visualisierung grundsätzlich hinderlich ist. Es ist aber hilfreich um die Mechanismen zu wissen, die uns im Hundetraining im Wege stehen können. Besonders, wenn du im Alltag mit deinem Hund immer wieder mit negativen Gefühlen und unerfreulichen Situationen konfrontiert bist und dir einen gehorsamen, freundlichen Hund wünschst.

Konstruktiv negativ denken

Wenn du ein bestimmtes Ziel mit deinem Hund erreichen möchtest, beispielsweise entspannt im Café sitzen oder ruhig an anderen Hunden vorbeigehen, solltest du dich lieber mit den möglichen Hindernissen in der Situation selbst, aber auch auf dem Weg dahin befassen. Welche Probleme können im Training auftauchen, was fällt meinem Hund und mir besonders schwer, woran scheitern wir immer wieder und was sind mögliche Störfaktoren, die ich nicht vorhersehen oder beeinflussen kann?

Du kannst deine negativen Gedanken also nutzen, um erfolgreich an Problemen zu arbeiten und Ziele zu erreichen, indem du aus den einzelnen Teilproblemen Trainingsaufgaben ableitest, für die du dir dann gezielt Hilfe und Anleitung suchen kannst. Negatives Denken kann dir helfen, mit deinen Emotionen vor und in Stresssituationen anders umzugehen und Problemen anders gegenüberzutreten.

Wann schadet negatives Denken im Hundetraining?

Wenn dich deine Befürchtungen, Frust und Besorgnisse lähmen, bist du nicht mehr in der Lage, logisch zu denken. Deinem Hund geht es in Stresssituationen genauso, was ein häufiger Grund für eskalierende Situationen und überbordende Verhaltensweisen ist. Das Denkzentrum ist in diesem Fall nicht mehr oder nur noch kaum aktiv und stattdessen werden Überlebensmechanismen aktiviert, die zu typischen Stressreaktionen führen. Der Grund für Aggression, Frust, Flucht und langfristig chronischem Stress. Das gilt für den Hund wie auch für dich.

Dennoch ist es vollkommen ok und sogar hilfreich schlechte Gefühle, Wut, Enttäuschung und Sorgen oder Befürchtungen zuzulassen. Der Trick ist, sich aufkommenden negativen Gefühlen zu stellen und sich konkret zu fragen was die negativen Gedanken verursacht: Einfach nur ein schlechter Tag? Oder ist es die konkrete Angst, dass dein Hund ausrastet? Was genau macht dir beim Ausrasten Angst? Dass dein Hund dich, sich oder andere verletzt? Dass es schrecklich peinlich wird? Dass du hinfällst und er sich losreißt? Dass er aus seinem Geschirr schlüpft und du ihn nicht mehr halten kannst? Versuche Befürchtungen und negative Gedanken konstruktiv in immer kleinere Einzelteile zu zerlegen und  befasse dich mit diesen Einzelproblemen. Was kannst du gut ändern? Eine stabile Leine und ein Ausbruchssicheres Geschirr? Maulkorbtraining? Dich damit zu beschäftigen, weshalb es dir so wichtig ist, was andere Hundehalter denken?

Dauerndes Schwarzsehen ist also schädlich und hilft dir nicht weiter, weil du nicht klar denken kannst und dauerhaft Schaden nimmst. Dich zum positiven Denken zu zwingen ist jedoch ebenfalls hinderlich, wenngleich es natürlich viele Situationen gibt, in denen Optimismus durchaus das Mittel der Wahl ist, um überhaupt mit dem Hundetraining zu beginnen.

Zwanghafter Optimismus bringt dir im Hundetraining garnix

Versuche im Training mit deinem Hund nicht zwanghaft alles schön zu reden oder positiv zu sehen, was nicht positiv ist. Wenn du im Alltag mit deinem Hund immer wieder in überfordernde Situationen kommst, solltest du die Probleme genau benennen und Stolpersteine realistisch einordnen können, um am Verhalten deines Hundes und deinem eigenen konstruktiv arbeiten zu können. Sich nur darauf zu konzentrieren, dass schon alles gut gehen wird, ist keine gute Vorbereitung. Sich seinen Sorgen, Befürchtungen und anderen negativen Gedanken zu stellen bedeutet im Hundetraining auch, sich auf eventuelle Probleme besser vorbereiten zu können und nicht von überzogenem Optimismus ins Bodenlose zu fallen, wenn es "doch nicht geklappt hat", ohne sich realistisch damit befasst zu haben, was zu tun gewesen wäre, wenn es schief geht. 

Tipps für positives negatives Denken im Hundetraining

Worst Case durchspielen

Male dir bewusst und möglichst objektiv aus, was schlimmstenfalls passieren könnte und überlege dir dann, welche Handlungsoptionen du jeweils hättest.

Im zweiten Schritt kannst du daraus die nächsten Trainingsschritte ableiten.

Beim Beispiel schwieriger Hundebegegnungen:

Die Hundebegegnung findet genau dann statt, wenn der Weg besonders eng und links und rechts begrenzt ist. Was könnte schlimmstenfalls passieren?

Was kannst du tun, um das zu vermeiden oder besser zu bewältigen?

Beispielsweise:

  • solche Wege vermeiden
  • wenn unvermeidbar: umdrehen?
  • wenn auch hinter euch ein Hund: deinen Hund mit Leberwurst durchfüttern?
  • wenn Futter dann nicht mehr interessiert: Perfekt sitzendes Geschirr und Halsband verwenden (Equipment auf das du dich verlassen kannst)
  • Leinenführigkeit verbessern
  • Ausweichen üben
  • Maulkorbtraining
  • Hunde wegschicken üben
  • usw.

Setze dir für euren jetzigen Trainingsstand priorisierte Handlungsabläufe, die du hintereinander abspulen kannst, ohne jedes Mal adhoc nach Lösungen suchen zu müssen:

  • Umdrehen
  • wenn Umdrehen unmöglich: Leberwurst raus
  • wenn Futter keine Option: Leine festhalten und zügig vorbei

Üben und Freuen

Es ist beruhigend, wenn man sich auf den Worst Case vorbereitet hat. Die belastendste Situation ist meist die, dass man nicht weiß, was passiert und schon garnicht, wie man mit unvorhersehbaren Problemen mit dem Hund umgehen soll. 

Meist tritt der worst case garnicht ein und die Realität sieht viel weniger schlimm aus. 

Ein weiterer Effekt: Denkt man konstruktiv über mögliche Negativszenarien nach und sucht nach Lösungsmöglichkeiten, steigert man damit seine eigene Widerstandsfähigkeit und wird immer routinierter im Umgang mit Problemen beim Hundetraining.

Downs akzeptieren

Der Alltag mit Hund besteht nicht nur aus Erfolgserlebnissen. Auch, wenn du dir erlaubst enttäuscht, gestresst oder traurig zu sein, dass manche Dinge mit deinem Hund noch nicht klappen oder möglicherweise nie so sein werden, wie du es dir irgendwann mal ausgemalt hast, ist das kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken! Zu akzeptieren, dass das Leben mit Hund ein ständiger Wechsel von positiven und negativen Erlebnissen ist, macht gelassener und spart Energie. 

Alle hier genannten Beispiele sind willkürlich herausgegriffene Möglichkeiten und häufig gesehene Verhaltensweisen von Hund und Mensch. Kein Beispiel davon stellt einen universellen Trainingstipp oder -methode dar, die in dieser stark vereinfachten Form erfolgversprechend sein kann. Es geht mir lediglich darum, die Methodik im Umgang mit negativen & positiven Gedanken darzustellen.

 

Besonders, wenn dein Hund aggressives Verhalten gegenüber Hunden oder Menschen zeigt, solltest du immer unbedingt einen Trainer zu Rate ziehen, der euch individuell unterstützen kann.


Viel Spaß beim positiven negativen Denken und beim Training mit deinem Hund!

Deine

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