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Individualdistanz bei Hunden

Samstagvormittag an der Supermarktkasse. Die Person hinter mir berührt mich versehentlich mit ihrer Einkaufstasche und ich find's schon direkt unangenehm. Obwohl ich mir sicher bin, dass die Person das garnicht böse meint und vermutlich nichtmal bemerkt hat, fühle ich mich fast persönlich beleidigt. Ich reagiere also recht empfindlich, wenn meine persönliche Individualdistanz unterschritten wird.

Das ist auch der Grund, weshalb ich mich auf Konzerten, in engen, kleinen Cafés und bei Teamsportarten meist nicht sonderlich wohl fühle. Einer Freundin geht es da ganz anders. Je mehr Leute umso besser. Enge, rempelnde Menschentrauben, die alle unbedingt ganz vorne in der ersten Reihe stehen wollen? Kein Problem, sie steht mittendrin und unterhält sich fröhlich mit einem wildfremden Mitdrängler. Das wäre für mich Horror, wo mich doch schon die Schlange an der Supermarktkasse am Samstagvormittag überfordert. Ganz zu schweigen von einer überfüllten U-Bahn.

So verschieden, wie wir ticken, wenn es um den Wohlfühlabstand geht, geht es auch unseren Hunden. Die Rede ist von der sogenannten Individualdistanz.

Offizielle Definition laut Wikipedia:

"...Entfernung zu Individuen der gleichen Art, die noch ohne Ausweich- und Angriffsreaktion geduldet wird. "

Abstand an der Leine, Hundebegegnungen

Hunde haben individuell verschiedene Individualabstände. Aber wieso eigentlich? Wäre es nicht viel einfacher, wenn es dafür eine allgemeine, für Jederhund geltende, Regel gäbe?

Um das zu beantworten, müssen wir ein bisschen genauer hinschauen. Denn die Individualdistanz hängt von verschiedenen Faktoren ab. Beispielsweise von der Sozialisation, dem Selbstbewusstsein des Hundes, Erfahrungen, der Situation und der Rasse.

Ich möchte mit euch die verschiedenen Faktoren ansprechen. Denn so könnt ihr auch Rückschlüsse auf das Verhalten eueres Hundes ziehen und verstehen, weshalb zwischen Hunde Konflikte entstehen können, die vermeidbar sind.

 

Einflussfaktoren auf die Individualdistanz bei Hunden

Sozialisation

Je nachdem, wie dein Hund aufgewachsen ist und was er in den ersten Wochen und Monaten erlebt hat, beeinflusst das auch seine Wohlfühldistanz. Hierzu gehört der Umgang mit den Wurfgeschwistern, mit der Mutterhündin und möglicherweise weiteren Mitbewohnern. Hat der Welpe schon früh positive Erfahrungen mit Nähe gemacht, wird er möglicherweise auch im späteren Leben weniger Probleme in beengteren Situationen haben. 

Selbstbewusstsein

Ein eher unsicherer Hund wird sich wesentlich früher bedrängt oder unwohl fühlen, wenn ihm etwas oder jemand zu nahe kommt. Ist dein Hund sehr selbstbewusst, fühlt er sich vermutlich eher in der Lage auch auf sehr geringe Distanz Konflikte zu lösen oder seine Individualdistanz zu wahren.

Erfahrungen

Auch Erfahrungen mit Artgenossen und Menschen prägen die Individualdistanz. Gehäuft negative Erfahrungen oder einige wenige schlechte Erlebnisse können zu einer großen Individualdistanz führen. Dazu gehört auch übergriffiges Verhalten durch Menschen, wie ungefragtes anfassen und streicheln, ohne dabei die Signale des Hundes zu beachten.

Erfahrungen sind Einflussfaktoren, welche die Individualdistanz von Hunden auch noch im Erwachsenenalter stark beeinflussen können.

Gesundheitszustand

Ist dein Hund angeschlagen, heute nicht besonders fit oder leidet generell unter einer Krankheit, hat Schmerzen (akut wie chronisch), hat das starken Einfluss auf die Individualdistanz. Auch wenn Hunde älter werden, vielleicht schlechter sehen und hören, beeinflusst das den Wohlfühlabstand zu Artgenossen und Menschen, Besonders, wenn deren Bewegungen und Aktionen nicht mehr so gut eingeschätzt werden können.

Hormone

Nicht nur die Hormone unseres eigenen Hundes, sondern auch die der Artgenossen haben Einfluss auf den Wohlfühlabstand. Ist eine Hündin läufig, kann man mitunter das volle Spektrum von "Bleib mir bloß weg" bis zur totalen Distanzlosigkeit erleben. Aber auch der Mindestabstand, den sexuelle Konkurrenten einhalten sollen kann ein anderer sein, als der, welcher von Artgenossen des anderen Geschlechts noch locker akzeptiert wird. Deshalb halten intakte Rüden in der Regel höflich Abstand, während Rüde und Hündin sich viel näher kommen und dabei entspannt bleiben.

Situation

Gibt es Ausweichmöglichkeiten oder nicht? Ist der Hund angeleint oder im Freilauf? Ist das Gelände eingezäunt? Ist es vielleicht ein enges Café oder ein Kofferraum? 

Ist der Ort ruhig und natürlich oder laut, unübersichtlich und herrscht Gedränge?

Wie ist die Stimmung unter den anwesenden Hunden? Angespannt? Überdreht? Fröhlich und ausgelassen? Entspannt und wohlig müde und satt?

Wie ist die Stimmung der Bezugsperson? Heute besonders gestresst und spät dran? Oder ist Wochenende, die Sonne scheint und alle haben ausgeschlafen?

Scheuet das Geschirr jetzt schon seit einer halben Stunde hinter den Ellbogen? Klappern die Märkchen mit diesem fiesen, metallischen Geräusch und nerven einfach nur, so direkt neben dem Ohr? Wir dauernd an der Leine rumgezogen und Frühstück gab es auch noch keins?

Du merkst schon, die Gesamtsituation hat einen immensen Einfluss auf die jeweilige Individualdistanz deines Hundes und kann von Situation zu Situation unterschiedlich sein. 

Das Gute: Weißt du um diesen Umstand, kannst du diesen beeinflussen und Konfliktherde vermeiden.

Ist es morgens, mittags oder abends, hell oder dunkel, kalt oder warm? Auch das beeinflusst den Wohlfühlabstand.

Alter

Welpen haben eine sehr geringe, bis gar keine Individualdistanz. Nicht jeder erwachsene Hund mag Welpen. Oft genau aus diesem Grund. Denn vollkommen unbedarft hoppeln die Kleinen auf jeden anderen Hund zu und stoßen nicht immer auf Gegenliebe.

Rasse

Hütehunde, wie der Australian Shepherd haben eine Individualdistanz von etwa 2 Metern, Labradore eine sehr geringe bis fast nicht vorhandene, französische Bulldogen ebenfalls. Herdenschutzhunde empfinden es hingegen teilweise schon als unverschämt, wenn ein anderer Hund (oder Mensch) die 8 Meter unterschreitet, ohne Erlaubnis. 

Die Genetik hat hier einen, unter Familienhundehaltern, lange unterschätzten Einfluss. Besonders, weil durch züchterische Auswahl bei einigen Rassen gezielt auf eine kaum ausgeprägte Individualdistanz gesetzt wurde, was diese Exemplare zu potenziell sehr toleranten Familienhunden macht. Der Trend zu exotischen oder sehr "urtümlichen" Rassen stellt das genaue Gegenteil dar. Diese Hundetypen haben meist eine sehr ausgeprägte Individualdistanz und finden es überhaupt nicht lustig, wenn jemand ihre Signale ignoriert und in die Intimzone einfällt.

 

Diese große Bandbreite führt, in Kombination mit ganz unterschiedlichen Körpertypen zu Missverständnissen und Konflikten. Denn es gibt noch etwas zu beachten: Nicht alle Hunderassen oder Typen verstehen sich auf Anhieb und müssen ihre Körpersprache erst mühsam lernen. Je weiter zwei Hundetypen optisch voneinander entfernt sind, desto mehr gleicht deren Körpersprache zwei ähnlichen, aber dennoch weit entfernten Fremdsprachen.

Wenn also die lustige, vollkommen distanzlose französische Bulldogge mal kurz dem Appenzeller Hallo sagen möchte, endet das meist mit einem Korb, der sich gewaschen hat. Wenn der aufdringliche Hüti-Hüti auf der Suche nach neuen Spielpartnern die Hundewiese abläuft und dabei meilenweit von seinem Menschen entfernt an einen schlecht gelaunten Ridgeback gerät, wird dieser dem Hütehund mit großer Wahrscheinlichkeit sehr deutlich mitteilen, dass er kein Interesse an Kontakt hat.

Umgekehrt fällt es den distanzloseren Rassen häufig schwerer, die entsprechenden Signale der distanzierteren Hunde zu erkennen und es wirkt fast so, als würden sie diese manchmal nicht einmal bemerken. 

Achtsamkeit mit Hund, Abstand halten, Individualdistanz

Beachte die Individualdistanz deines Hundes

Kennst du den Abstand, den dein Hund benötigt, um sich wohl zu fühlen?

Meist senden Hunde schon sehr lange und deutlich Signale an ihr Gegenüber, wenn sie sich bedrängt oder unwohl fühlen. Mögliche Reaktionen sind Angriff oder Flucht. Zu welcher Strategie dein Hund greift, hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab. 

Dabei solltest du auch immer im Blick haben, inwiefern andere Hunde und Halter auf diese Signale reagieren oder ob sie überhaupt wahrgenommen werden. 

Sowohl im Freilauf als auch an der Leine tust du dir und deinem Hund einen großen Gefallen, wenn du den Abstand, den dein Hund benötigt, einhältst und berücksichtig. Durch viel Üben und eine vertrauensvolle Beziehung kann man diese Distanz verringern, aber selten grundsätzlich verändern. 

Mein Hund hat keine Individualdistanz

Ja, es gibt sie. Die Hunde, die jeden toll finden, denen Rempeln, Drängeln und beengte Situationen rein garnichts auszumachen scheinen. Das macht den Alltag oft sehr unkompliziert und die Vierbeiner selbst zu beliebten Everybodys-Darlings.

Dennoch solltest du ein Auge darauf haben, dass dein Vierbeiner nicht immer wieder andere Hunde bedrängt und ungefragt seine Nase in fremder Hund Po steckt. Klingt komisch, ist aber besonders auf Hundewiesen immer wieder Alltag und führt häufig zu Missverständnissen und unnötigen Konflikten. Fatalerweise sind die Vierbeiner mit größerem Distanzbedürfnis häufig die Buhmänner und es gehört in unserer Gesellschaft dazu, dass sich Hunde auch die unverschämteste Grenzüberschreitung noch schwanzwedelnd gefallen lassen sollen. Arttypische Aggression und Kommunikation erschrickt und und passt einfach nicht in unser Bild vom besten Freund des Menschen. Dabei nehmen wir sowohl den distanzierten als auch den distanzlosen Hunden damit die Möglichkeit voneinander zu lernen und Grenzen zu achten.

Auch im Sinne deines distanzlosen Hundes, solltest du ein Auge darauf haben, welcher Vierbeiner mit ihm auf einer "Welle reitet" und welcher Artgenosse sich bedrängt fühlt und deinen Hund rechtzeitig abrufen, wenn dieser in seiner Euphorie alle Warnungen seines Gegenübers in den Wind schlägt. So kannst du allen Beteiligten unangenehme Erfahrungen ersparen. Kommt es im Freilauf doch einmal zu einer klaren Ansage, geht diese meist ohne jede Verletzung einher und bis auf einen kleinen Kratzer nimmt dein Hund vor allem eines mit: Eine Lernerfahrung über Grenzen. 

Individualdistanz an der Leine

Hunde, die angeleint sind, sollten immer einen Mindestabstand von 2 Metern wahren dürfen. Lass deinen Hund auf die dem fremden Hund abgewandte Seite wechseln oder gehe sogar einen kleinen Bogen. So unterstützt du deinen Hund in seiner natürlichen Kommunikation und nötigst ihn nicht, in den Wohlfühlabstand des anderen Hundes einzudringen.

Abstand im Freilauf

Hunde, die mehr Abstand brauchen, fühlen sich im Freilauf meist wohler. Auf diese Weise können sie ihren Abstand selbst bestimmen und bei Bedarf ausweichen. Dazu kannst du deinen Hund auch immer wieder ermuntern und selbst Abstand halten und ausweichen. Natürlich immer abhängig von deinem Hund und dem jeweiligen Gegenüber.

Vielleicht hast du schon mal beobachtet, dass Hunde mit einer guten Kommunikationsfähigkeit meist höflich Kontakt anfragen und bei einer Distanz zwischen 10 und 5 Metern stehen bleiben und abwarten, wie der andere Hund reagiert.

Signalisiert der angefragte Hund durch Kopfabwenden, Drohfixieren oder Lefzenlecken, manchmal auch durch totale Ignoranz, dass er kein Interesse hat, wenden sich die meisten Hunde wieder ab und suchen sich einen anderen Spielgefährten.

Wenn dein Hund regelmäßig solche Signale ignoriert, kannst du ihn durch einen guten Rückruf davon abhalten, die Signale anderer Hunde zu ignorieren. 

Die gute Nachricht

Die meisten Hunde haben ein sehr ausgeprägtes Gespür für die Signale anderer Hunde und Distanzlosigkeit ist mitunter auch anerzogen, durch dauerndes Auffordern durch den Menschen.

Häufig halten aber selbst die durchgeknalltesten Tobefans höflich Abstand, wenn ein anderer Hund deutlich gemacht hat, dass er kein Interesse hat. Manche Hunde meiden distanzierte Hunde dann nach der ersten Drohung überdeutlich.

Bewerte die kleinen Brötchen, die dein sonst so fröhlicher Vierbeiner dann möglicherweise backt, nicht als Angst oder Bedrohlichkeit des anderen Hundes, sondern freue dich darüber, wie höflich und deutlich dein Hund kommuniziert und seinem Artgenossen sagt "Ok, verstanden, ich halte Abstand und möchte dich nicht provozieren".

Achte doch bei deiner nächsten Gassirunde mal ganz bewusst auf die Distanzen, die Hunde untereinander halten und wie sie diese kommunizieren.

Viel Spaß beim nächsten Spaziergang mit deinem Hund, 

deine

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Kommentare: 5
  • #1

    Stephie Richter (Dienstag, 24 September 2019 22:06)

    Viele gute Infos, danke dafür!

    Lieben Gruß
    Stephie

  • #2

    Susi (Mittwoch, 23 September 2020 10:05)

    Sehr gut erklärt! Gestern hatten wir erst eine Begegnung mit einem Welpen, der von meinem Rüden gemaßregelt wurde. Die hundehalterin hat mir erklärt, dass ich als Chefin das nicht dulden darf, wenn er den Welpen anknurrt. Meine Aufgabe als Rudelführerin wäre es gewesen, meinen Hund zu Maßregeln!!!! Hmh, wahrscheinlich habe ich ein Dominanzproblem �

  • #3

    Mela von RehabiliTiere (Mittwoch, 23 September 2020 10:41)

    Solange dein Hund fair maßregelt und nicht von sich aus zum Welpen hingeht um ihn dann zu vermöbeln, ist das in Ordnung.

  • #4

    Oliver (Mittwoch, 15 September 2021 13:33)

    Ich habe eine Kangal-Labrador-Hündin, bei fremden Hunden sie geht langsam auf sie zu und wartet, was passiert, zieht zurück, wenn geknurrt wird, geht weiter, wenn eine Einladung signalisiert wird. Angst sehe ich eigentlich aber nie. Um Hunde, die so in Straßenkneipen unterm Tisch liegen (o.ä.) , macht sie allerdings einen Bogen. (sie läuft eigentlich immer frei) Anfangs dachte ich, sie hat Angst aber zwischenzeitlich glaube ich, dass sie einfach nicht in die Intimdistanz anderer Hunde eindringen mag und efordere das auch nicht von ihr.

  • #5

    Sabine (Freitag, 08 März 2024 13:33)

    Sehr guter Bericht, mein Hund setzt sich hin und beobachtet den fremden Hund der uns entgegenkommt.
    Bei Hunden die er kennt, rennt er hin und will spielen.

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