Stell dir vor, du wirst einmal die Woche für einen halben Tag in eine Bar verfrachtet. Dort sollst du dich ein bisschen Austoben, Sozialkontakte knüpfen, nette Leute kennenlernen und einfach eine gute Zeit haben.
Wie klingt das? Mit 16 vielleicht ganz lustig. Die meisten werden mir zustimmen, dass das zwar alle paar Monate (oder Jahre) eine nette Abwechslung wäre, aber für jede Woche definitiv nicht den eigenen Bedürfnissen entspricht.
So geht es meiner Meinung nach auch vielen Hunden.
Man kann die Bedürfnisse von Hunden natürlich nicht mit unseren, menschlichen vergleichen. Dennoch gibt es Parallelen und Entwicklungsphasen. Es gibt „falsche Freunde“, ungünstige Vorbilder, sinnvolle Freizeitaktivitäten und weniger schlaue Ideen.
Bedürfnisse sind verschieden
Die meisten sozialen Lebewesen werden irgendwann erwachsen, kennen ihre Bedürfnisse und haben das Privileg, ihr Leben (im vergleich zu Hunden) recht selbstbestimmt und entsprechend ihrer Bedürfnisse zu gestalten.
Da gibt es den Typen, der auch mit Mitte 40 immer noch keine Party auslässt und erst so richtig glücklich ist, wenn alle Augen auf ihn gerichtet sind. Warum tut er das? Ist sein Interesse wirklich sozialer Austausch, Beziehungen, Kommunikation und Bindung? Oder geht es vielmehr auch ganz doll darum, seinen sozialen Status zu fixieren, immer wieder zu bestätigen und den eigenen Selbstwert von den Reaktionen anderer abhängig zu machen?
Da gibt es den eher zurückhaltenden Typen, der ab und zu mit „seinen Jungs“ in eine Bar geht, nach spätestens zwei Stunden aber die Schnauze voll hat und um 23 Uhr ziemlich happy im Bett liegt und die Ruhe genießt. Wenn man ihn nicht lässt, wird er irgendwann gereizt, versucht seine Kumpels davon abzubringen laut und peinlich zu sein.
Da gibt es die Frau, die am liebsten in Turnschuhen ausgeht, weil sie vor allem tanzen will. Mal richtig Dampf ablassen und dann morgens um 5 todmüde ins Bett fallen. Was um sie herum passiert, ist ihr garnicht so wichtig. Hauptsache die Musik ist gut. Ist die Musik schlecht und die Leute doof, kippt bei ihr ganz schnell die Stimmung. Sie ist frustriert, weil der Abend nicht gelaufen ist, wie erwartet.
Da gibt es die Schüchterne, die von ihren Freundinnen mitgeschleppt wurde und jetzt alleine am Rand steht. Smalltalk liegt ihr garnicht und eigentlich wollte sie sich mit ihrer besten Freundin unterhalten. Die hat sie hierher geschleppt und jetzt an der Bar stehen lassen. Die Schüchterne steht am Rand, versucht möglichst nicht aufzufallen und wartet sehnlichst auf das Go zum Jackenholen. Wird sie angesprochen, bleibt sie höflich, aber richtige Gespräche entwickeln sich hier nicht. Dabei würde sie so gerne auch so locker drauf sein, traut sich aber einfach nicht. Erst, als sie merkt, dass sich keiner wirklich für sie interessiert, traut sie sich zum Takt der Musik ein bisschen mitzuwippen.
Da gibt es genau diese beste Freundin mit der man super deepe Gespräche führen kann. Sie ist ein Energiebündel und testet nach eigener Aussage „ihren Marktwert“. Sie tanzt nicht gerne, sie findet die meisten Leute doof, aber irgendwie braucht sie ab und zu die Bestätigung.
Viele Klischees…Ich weiß. Dennoch wird klar: Die Gründe, weshalb wir uns in soziale Situationen begeben, können ganz unterschiedlich sein. Die Gründe für Kommunikation, Sozialverhalten und Interaktion ebenfalls.
Viele Hundebetreuungen aka HuTas sind genau das: Eine Bar. Ein Ort, der tendenziell eher überfüllt ist, die Ausweichmöglichkeiten sind begrenzt, viele verschiedene Individuen verfolgen ihre Interessen und einige sind vermutlich nicht ganz freiwillig da oder würden andere Orte vorziehen.
Klar, in einer Bar glänzen die Partymäuse, die extrovertierten und lustigen People. Aber was ist mit den Schüchternen? Mit den Introvertierten, den Zuhörern, den Aufpassern und Helfern? Die sind in solch einem Kontext natürlich die Spaßbremsen. Wer freitagsabends in einer Bar auf der Suche nach der wahren Liebe oder einer tiefen Freundschaft ist, hat schon verkackt, bevor es überhaupt richtig los geht (Ausnahmen bestätigen die Regel). Auf der Suche nach schnellem Spaß, oberflächlichem Smalltalk, einer ausgelassen Stimmung, ein bisschen Dampf ablassen und den Stress der Arbeitswoche ausblenden wird man hier schon eher fündig.
Bin ich Jeder, oder was?
Was bist du? Ein Mensch. Ok, ein soziales Lebewesen. Du brauchst Sozialkontakte zu Artgenossen, wie die Luft zum Atmen. Ziemlich sicher werden dir jetzt viele Beispiele einfallen, wie du dein menschliches Bedürfnis nach Sozialkontalten befriedigen kannst, ohne auch nur ein einziges Mal eine Bar betreten zu müssen.
Vielleicht lebst du in einer Partnerschaft oder hast eine Familie, vielleicht trefft ihr euch am Wochenende mit den Nachbarn im Garten oder sonntags zum Brunchen mit alten Studienfreunden.
Oder du bist montags immer zum Squash mit Karl-Friedrich verabredet. Den hast du irgendwann mal beim Feiern kennengelernt.
Vielleicht bist du auch genau die Person, die das Wochenende kaum erwarten kann und der es garnicht genug Menschen auf einem Fleck sein können.
Oder du hängst am Wochenende vor allem mit deinem Hund im Wald ab und unter der Woche reicht dir das Maß an Sozialkontakten, mit deinen Arbeitskollegen. Du bist einfach gerne viel alleine.
Hunde sind ganz genauso unterschiedlich wie wir!
Also steck deinen Hund nicht in eine Bar, nur weil irgendjemand dir einredet, dass das gut für’s Sozialverhalten ist!
Falls dein Hund ein Partyanimal ist, solltest du darauf achten, dass er nicht an falsche Freunde gerät und die Bar eine strenge Türpolitik verfolgt und Pöbler directement in ihre Schranken weist oder vor die Tür setzt.
Ist dein Hund schüchtern, mag er das sonntägliche Brunch-Date mit der besten Freundin vielleicht viel lieber.
Ist dein Hund ein Einzelgänger reicht es ihm vielleicht sogar, im Büro einen Schnack im Türrahmen zu führen und ansonsten halt „der Komische“ zu sein, der lieber für sich ist.
Was ich eigentlich sagen will:
Jeder Hund braucht Beziehungen und Sozialkontakte.
Welcher Art, zu wem und in welchem Ausmaß ist absolut individuell und auch genetisch bedingt.
Nur, weil ein Hund zurückhaltend oder sogar abwehrend ist, heißt das nicht, dass Sozialkontakte nicht erwünscht sind. Vielleicht stimmt das Setting, das Gegenüber nicht oder der Hund braucht mehr Zeit oder Anleitung.
Nur weil ein Hund sich voller Elan in jede Hundegruppe wirft und ganz bestürzt ist, wenn er dafür keinen tosenden Applaus sondern Backpfeifen erntet, heißt das nicht, dass dieser Hund hypersozial und meganett ist. Vielleicht ja und einfach nur etwas unerfahren, was höfliches Annähern betrifft. Vielleicht aber auch ein kleiner Egomane, der sich gerade selbst überschätzt hat und das Reinwerfen in eine Gruppe als Statusding nutzt, nach dem Motto: „Schaut mal wie geil ich bin. Ich kenn hier niemanden und geh trotzdem voll aus mir raus. Wow“. Findet nicht jede Clique cool.
Hundebetreuungen haben ihre Berechtigung. Aber weniger, weil Hunde sie brauchen, sondern vielmehr, weil wir unbedingt Hunde haben wollen, obwohl unsere Lebensumstände vielleicht nicht so wirklich passen.
In diesen Fällen kann eine Hundebetreuung eine tolle Alternative sein. Aber nicht jede Hundebetreuung.
Wie sortiert man "unpassende" Betreuungsangebote aus?
In letzter Zeit höre ich immer wieder von Hundebetreuungen, in denen die Hunde eher per Zufallsprinzip zusammengewürfelt und mehr oder weniger in ihren Aktionen sich selbst überlassen werden. Davon profitieren einige Hunde. Aber besonders die Hunde, die vielleicht auch sonst nicht ganz so stabil sind, benötigen in diesem Kontext Anleitung, Begrenzung, Unterstützung und Pausen. Nicht immer werden die Hunde in der HuTa selbst auffällig, sondern verändern ihr Verhalten an anderer Stelle. Auch das ist nicht ganz unlogisch:
In einer vollen Bar vermeide ich Konflikte aus diversen Gründen vielleicht eher, sammle aber natürlich Erfahrungen. In einem anderen, sicheren Kontext bin ich, auch aufgrund meiner Erfahrungen so möglicherweise eher bereit „aktiv“ zu werden. Das betrifft sowohl sozial offenes als auch sozial abwehrendes Verhalten.
Wenn du deinen Hund also in eine Hundebetreuung geben möchtest, sollten Preis, Verfügbarkeit und örtliche Nähe nicht die ausschlaggebenden Faktoren sein, sondern beispielsweise Fragen wie:
Nach welchen Kriterien werden Hunde aufgenommen?
Nach welchen Kriterien werden Gruppen zusammengestellt?
Wie groß sind die Gruppen und warum wurde sich für diese Gruppengröße entschieden?
Kannst du dir die Hundebetreuung ansehen und welches Erregungslevel herrscht dort unter den Hunden vor?
Wie viele Personen sind für wie viele Hunde zuständig?
Wie wird die Eingewöhnung gestaltet?
Wie lange dauert eine Eingewöhnung?
Gibt es feste Gruppen oder ist da wer da ist? Wechselt die Gruppenzusammenstellung?
Wie wird konkret mit Konflikten zwischen den Hunden umgegangen?
Was wird als Konflikt bewertet und was „klären die unter sich“ und warum?
Gibt es Rückzugsmöglichkeiten und wie wird dafür gesorgt, dass sich Hunde zurückziehen können?
Findet den ganzen Tag Interaktion statt oder gibt es Pausen?
Befinden sich die Hunde den ganzen Tag auf einem Grundstück und wie ist dieses gestaltet?
Werden die Hunde gelegentlich getrennt oder ausgeführt? Wenn ja/nein, warum?
Falls du deinem Hund vor dem Hintergrund „mehr Sozialkontakte“ in eine Hundebetreuung geben möchtest: Wird der genaue Grund erörtert, weshalb du denkst, dass dein Hund mehr Sozialkontalke in diesem Kontext braucht? Kann dir erklärt werden, wie genau die Umsetzung aussieht, damit dein Hund von diesen Sozialkontakten profitiert? Gibt es auf Seiten der betreuenden Personen einen entsprechenden fachlichen Hintergrund und bist du mit den jeweiligen Methoden einverstanden?
Fazit: Hundebetreuung kann aus verschiedenen Gründen eine Lösung für organisatorische Probleme sein und -gut angeleitet- kann sie auch für das Sozialverhalten deines Hundes förderlich: Nicht in jeder HuTa lernen Hunde Mobbing, Unhöflichkeit und dass Artgenossen zum Toben "konsumiert" werden können und nicht in jeder HuTa sind Hunde dauernd "drüber", werden traumatisiert oder in einer Art an ihnen "rumerzogen" wie die es nicht möchtest. Auch das andere Extrem der Überregulation wäre nicht wünschenswert.
Mach dir klar:
Du gibst deinen Hund aus der Hand. Dein Hund lernt dabei die ganze Zeit. Auch dann, wenn du gerade nicht dabei bist, auch dann, wenn sich niemand einmischt. Es ist also wichtig, besonders dann, wenn du dir wünschst, dass der Aufenthalt in einer HuTA das Verhalten deines Hundes positiv beeinflusst, die genauen Umstände zu kennen.
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Bernd Dietrich (Freitag, 02 Juni 2023 10:11)
hallo mela,
ein recht ineressanter text - vor allem fachlich sauber und neutral gehalten. du bist herzlich eingeladen, die unsere einrichtung selbst anzuschauen.
gruss bernd