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Auspowern kills. Sparflamme auch.

In letzter Zeit sind mir ganz schön viele Artikel in die Timeline gespült worden, in denen davor gewarnt wird, dass man seinen Hund nicht auspowern soll. Manchmal in Kombination mit einem Hinweis auf das Schlafbedürfnis von Hunden (von bis zu 18 Stunden ist da die Rede) und natürlich der saisonalen Warnung vor einem Hitzeschlag des Hundes.

Will ich da widersprechen?

 

Mitnichten! Alles richtig. Man kann garnicht oft genug darauf hinweisen, dass man besonders in Extremwetterphasen keine saudummen Sachen mit seinem Hund machen sollte.

Saudumm wäre es, seinen Hund bei 36 Grad neben dem Fahrrad galoppieren zu lassen. 

Saudumm ist es beispielsweise auch, seinen Hund möglichst in allerkürzester Zeit so hochzupushen (gerne genommen mit Wurfgegenständen, Reizangel oder eben dem Fahrrad), dass er ziemlich schnell "platt" ist, um ihn dann alleine zu lassen. Quasi alle Kraft aus dem Hund rauszuknüppeln, damit der Trennungsstress nicht so kickt. Den zu bearbeiten wäre ja nervig, aufwendig und schwierig. Also bedient man sich einfacherer "Harakiri"-Methoden. Nee, cool. So wird dein Hund sicher und vor allem langfristig ein entspannter Typ werden.

Aber: Ich kann mir nicht helfen. Es kam jetzt wirklich beunruhigend oft vor, dass ausgerechnet "solche Leute" diese Artikel geteilt und verlinkt haben, bei denen ich nicht zum ersten Mal dachte "Also du könntest ruhig mal öfter mit deinem Hund in Aktion treten".

Darauf habe ich jetzt einen halben Sommer lang herumgekaut und mich gefragt, was genau ist das in mir, was da beim Lesen solcher Headlines in mir rumort?

 

Inhaltlich gebe ich den meisten Artikeln recht. Es ist für die meisten Hunde sehr stressend, wenn sie jeden Tag Programm haben und ihr Leben eher dem eines überambitioniert gedrillten Kleinkindes ähnelt, dass zwischen Frühenglisch und Kinderyoga gar keine Zeit hat, seine soziale Verwahrlosung zu spüren. Natürlich halte ich es ebenfalls für falsch, wenn Hundehaltende einen Tag nur dann als "gelungen" betrachten, wenn ihr Hund abends kaum mehr Kraft für die letzte Pipirunde hat.

Und erst recht stellen sich mir alle Nackenhaare auf, wenn Hunde nicht aus "geht nicht anders Gründen", sondern "zum Auspowern" in eine HuTa verfrachtet werden und man es ganz toll findet, wenn einem abends berichtet wird, dass der kleine Timmi ja wieder "nur am Toben" war.

Was hat er sich da schön ausgepowert. Das braucht er halt manchmal. Der Kleine.

"Ja und Nein!!!!", will ich rufen. "Was macht ihr denn da? Merkt ihr denn nicht, dass es viiiiiiiel komplizierter ist?!"

Ob es wohl daran liegt, dass wir alle ganz unterschiedliche Dinge unter "Auspowern" verstehen? Sprechen wir Fachleute, diejenigen, die besonders fleißig (und auch irgendwie erleichtert) solche Artikel teilen und dijenigen, die sie dann lesen und garnicht mehr wissen, was sie denn jetzt tun sollen, eigentlich vom gleichen"Auspowern?"

Ich bin sehr wohl für auspowern

Es macht einen Unterschied, ob ich meinen Hund immer wieder unvorbereitet und unangemessen negativ stressenden, mental als auch körperlich überfordernden Situationen aussetze oder, ob ich meinem Hund erlaube durch typgerechte Auslastung auch mal bis an seine Belastungsgrenze zu gehen.

 

Vorbereitet, aufgebaut, trainiert und einigermaßen planvoll, wäre noch schön.

Ich unterscheide also zwischen "Auslasten", wozu auch mal das Auspowern gehört. Aber ich möchte es nicht verwechselt wissen, mit hirnlosem "Verheizen" eines Hundes. Meist wird das meiner Beobachtung nach auch gerne benutzt, um

  1. problematisches Verhalten zu umschiffen (ein komplett erschöpfter, leerer Hund, hat nur noch wenig Kraft "zu nerven". Jedenfalls vorerst.),
  2. eigene Dämonen zu befriedigen (die Helikopter-Hundeeltern, die so unendlich viel "leisten" und den Hund und seine tausend Freizeitaktivitäten zu ihrem Lebensmittelpunkt machen) oder
  3. das Zeitinvest in den Hund so minimal wie möglich zu halten (Hund gekauft, süß gefunden, nicht erzogen, drei Jahre später nervt Hund, ist aber immer noch da, obwohl man doch mittlerweile andere Interessen hat).

Und genau darauf weisen meinem Verständnis nach auch viele der "Nicht auspowern-Artikel" hin. Dabei appellieren sie inhaltlich wohl vor allem an den gesunden Menschenverstand.

Das Gegenteil von nicht auspowern ist innerlich tot

Was wird jetzt aus solchen Artikeln, öfter als mir lieb ist, abgeleitet? Mmmmh?

Genau: Das Leben des Hundes besteht aus Schlafen, Essen, Ruheübungen, Wartenlernen. Bloß nicht überfordern, bloß nicht zu viel. 

 

An dieser Stelle sei gesagt, dass ich hier sehr allgemein von "normal gesunden" Hundetypen spreche. Dass brachyzephale, sehr kurzbeinige, langrückige, übermäßig befellte oder kaum behaarte, super winzige oder extrem große oder sonstwie massiv verzüchtete Rassen von Geburt an dazu verdammt sind, ein Leben mit Einschränkungen zu leben, versteht sich von selbst.

 

Ich sehe dreijährige Hütehunde, die in ihrem Leben noch keine 10 Minuten am Stück galoppiert sind. Ich treffe einen zehnjährigen Terrier, der nur noch kleine Runden geht (gehen darf), weil er ja jetzt als "Senior" gilt (Wenn er dürfte, wie er könnte, hätte er schon letzte Woche mal ordentlich die gesamte Feldrandlage neu sortiert. Stattdessen: Flexileine):

Ich sehe Gebrauchshunde, die in ihrem ganzen Leben noch nie das machen durften, wofür sie mal gezüchtet wurden, weil sie ja dann so hochfahren.

Ja, merkste selbst. 

Ich sehe Hunde, die viel zu jung, viel zu wenig Muskulatur, zu viel Fett, zu lange Krallen und keine einzige Macke im Fell haben. Ich sehe beunruhigend viele ältere Hunde, die greisenhaft durch das, was wir ein ganzes Hundeleben nennen, geistern. Nicht, weil sie viel erlebt haben, viel hinter sich haben und nun wirklich wohlverdient alt sein dürfen, sondern weil sie nichts erlebt haben.

Ich sehe Hunde, die Schäden am Bewegungsapparat haben. Nicht von zu viel, sondern von zu wenig. Vom Nichtstun. 

 

Ein stetiger Kreislauf von Fressen, Schlafen, Gassi. Täglich das gleiche Futter, täglich der gleiche Rhythmus, täglich die gleiche Strecke, das gleiche Tempo, die gleichen Gefühle, der gleiche Puls.

Es gibt sicher Hunde, die damit fine sind und eventuell auch glücklich und bestenfalls gesund. Jeder ist anders. Das gilt für Hunde, wie für Menschen.

Wasmachmajetz?

Weiß ich auch nicht. Genauer hinsehen? Rantasten, reflektieren, austauschen? Einen Blick nach innen werfen und einen Blick von außen holen?

 

Verunsicherte Hundehaltende fragen mich, ob die geplante Wanderung an der Ostsee (14 km sollen es sein) für ihren zweijährigen Ridgeback wohl zu viel sein könnte. Eine ganz liebe Bekannte fragt mich, ob ich es wohl für vertretbar halte, dass ihr Mann ihren Hund zum Joggen mitnimmt. Ob ich glaube, dass der Hund das schaffen würde. Vorsichtig frage ich, wie viel Kilometer ihr Mann denn so "macht". "So 3-4".

Ja man. NATÜRLICH!

Wenn das das Ergebnis von "mehr Besonnenheit" ist, dann lieber nicht. Und warum lassen sich immer die besonders guten Hundeleute so krass verunsichern?

Gemeinsam zu Fuß unterwegs sein ist immer eine gute Idee

Wenn dein Hund gesund und normal alt ist und sich offensichtlich gerne bewegt, dann kannst du ziemlich sicher sein, dass er ganz ganz locker neben dir mithalten kann, so lange du zu Fuß unterwegs bist. Ich kenne keine einzige Person, die ihren Hund "müdeläuft" und mehr Kondition hat, als ihr Hund.

 

Läuft dein Hund neben dir her, während du selbst ebenfalls zu Fuß unterwegs bist, ist es meist leichter ein gutes Gespür für Temperatur, Wasserbedarf, Grad der Anstrengung und Dauer zu entwickeln. Um seinen Hund hier zu überfordern, muss man schon wirklich todesfit und sehr ignorant sein.

 

Etwas anderes ist jede Form von konstruierter, künstlicher Auslastung FÜR deinen Hund und ohne, dass du aktiver Teil davon bist. Während du beispielsweise in gefühltem Schneckentempo auf dem Fahrrad rollst, während dein Hund nebenher trabt, kann es schon wesentlich schneller gehen, dass du dich verschätzt und dein Hund überhitzt. Das kann wirklich lebensgefährlich werden und auch schneller, als viele Menschen denken. Deshalb finde ich die ganzen Artikel zu dieser Jahreszeit auch wirklich richtig und wichtig.  

Generell sollte eine provozierte Überhitzung nicht mit Auspowern verwechselt werden. 

Aufbauen, trainieren, langsam steigern

Es versteht sich von selbst, dass jede Form der Belastung schrittweise aufgebaut wird. Besonders dann, wenn dein Hund bisher nicht sonderlich gefordert wurde. Nicht nur das Herz-Kreislaufsystem, sondern auch Bänder, Gelenke und Skelett benötigen mehrere Monate, um sich an eine neue Belastung anzupassen.

Das bedeutet: Ein unfitter Hund wird wahrscheinlich Schaden nehmen, wenn du von jetzt auf gleich die Belastung steigerst. Risiken wären hier Verletzungen am Bewegungsapparat, eine Überlastung des Herz-Kreislaufsystems und auch der mentale Aspekt spielt hier keine unwesentliche Rolle.

Bei plötzlich auftretenden, stärkeren Belastungen neigen insbesondere bewegungsfreudige Hunde dazu, körperliche Überforderung mit mentalem Überpacen zu kompensieren. Auf deutsch: Sie überdrehen, sind nicht gut ansprechbar, übertreiben und wirken dann eben tatsächlich im negativen SInne "ausgepowert".

Auch Hunde müssen erst Erfahrung sammeln und lernen, dass es klug ist, seine Kräfte einzuteilen und dass sie darauf vertrauen dürfen, dass ihr Bedürfnis nach Bewegung regelmäßig und ausreichend befriedigt wird.

Ein weiterer Grund für das Überdrehen kann nämlich auch schlicht und ergreifend sein, dass dein Hund bereits gelernt hat, dass die Gelegenheiten selten und meistens eher kurz sind und er sie deshalb besonders intensiv nutzt, jedes mal in hoher Erregungslage in Erinnerung behält und diese Erwartung in jede weitere Aktivität mit hineinnimmt. Das ist dann tatsächlich schlecht gemachtes Auspowern. Da haben wir von Dopamin und Gehirnchemie noch garnicht angefangen.

Vermeide einseitige, stupide, objektfixierte Auslastung

Bewegungen, die im Ablauf recht einseitig sind, beispielsweise dauerndes Springen, Sprinten und Abbremsen sind tendenziell eher belastender als zuträglich. Aber auch hier: Bitte mach aus einem solchen Hinweis nicht, dass ein Hund generell nicht springen sollte, generell so wenig wie möglich sprinten darf und jede Vollbremsung gleich schädlich ist. Jede Belastung, die in Maßen und angepasst an die Physis deines Hundes stattfindet ist eher zuträglich.

Es macht auch einen Unterschied, wie groß und schwer dein Hund ist, wie geübt und auch: Hast du deinen Hund aufgewärmt?

Steigere nicht nur generell, sondern wärme auch auf

Hunde sind als Beutegreifer dafür gemacht, von jetzt auf gleich 100 % Vollgas zu geben. Sie können das. 

Hunde sind nicht dafür gemacht, gleichzeitig möglichst lange, möglichst schmerzfrei zu leben. Denn von 0 auf 100 in wenigen Sekunden ist gleichzeitig auch Raubbau am Körper. 

Du bist für ein möglichst optimales "Preis-Leistungs-Verhältnis" zwischen diesen Aspekten verantwortlich. Denn dein HUnd ist glücklicherweise nicht mehr darauf angewiesen zugunsten des Nahrungserwerbs körperlichen Schaden in Kauf zu nehmen.

Indem du deinen Hund aufwärmst, also jede Belastung mit lockerem Laufen, Traben und dann einer belastungsorientierten Aufwärmphase startest, kannst du viel Verschleiß und späterem Aua entgegen wirken.

Wähle für Belastungspeaks typengerechte Bewegungsformen

Suche nach einer Auslastung, die zu deinem Hund passt.

Nicht nur, was ihm auf Anhieb zu 100% liegt, sondern auch, was etwaige Fähigkeiten fördert, die nicht zu 100% seins sind.

Was meine ich damit? 

Ich würde immer versuchen, das Angenehme mit dem Nützlichen verknüpfen zu können.

Ein lauffreudiger Hund der schnell hochdreht? Häufiger mehrstündige Wanderungen, statt 30 Minuten Langmachen am Fahrrad. 

Ein eher ungeschickter, rumpeliger Hund? Zügiges laufen auf glattem, übersichtlichem Boden und langsames Wandern und kraxeln querfeldein.

Der superwendige Wirbelwind? Würde ich tendenziell über und und um Stock, Stein und Hindernisse schicken und dann wieder lange Strecken neben mir halten, Schnüffelphasen einbauen.

Ich finde, zum glücklichem Hundeleben gehört auch, dass Hunde die Sachen machen dürfen, die sie gut können, die ihnen im Blut liegen, für die sie womöglich gezüchtet wurde. Unsere Aufgabe ist es, diese Talente so mit anderen Aktivitäten zu kombinieren, dass -besonders die genetischen Spezialisten- nicht durchdrehen. Weder vor Langeweile noch vor Übersteigerung.

Mentale Aspekte

Je technisierter, westlicher, luxuriöser der Lifestyle der Menschen wird, umso unglücklicher die Hunde, die ich sehe. Das ist natürlich nur meine subjektive Wahrnehmung und ich möchte keinesfalls die teilweise widrigen Lebensbedingungen von Hunden in sehr armen Ländern romantisieren. 

Trotzdem fällt mir immer wieder auf, dass unser Standard, unsere Auffassung von einem "guten, sicheren, möglichst risikoarmen, unbelasteten und langen Leben" nicht unbedingt das Maß aller Dinge ist und schon garnicht das, was ein erfülltes Hundeleben ausmacht.

 

Ich möchte auch nicht, dass das überdrehte Ballhetzen mit Glück gleichgesetzt wird oder der vollkommen unbegrenzte, wildernde Junghund unbedingt seine "Freiheit" genießen soll. Das ist wirklich sehr weit davon entfernt, was ich meine.

 

Trotzdem blutet mein Herz beim Anblick von Hunden, die irgendwie vermeintlich Alles haben und Alles bekommen und trotzdem ihr gesamtes Hundeleben auf Sparflamme verbringen.

Manchmal an der Seite von Menschen, die nicht ansatzweise eine Vorstellung davon haben, zu was ihr Hunde körperlich im Stand wäre. Manchmal vielleicht auch mangels Selbsterfahrung. Oft auch an der Seite von Menschen, die das schon wissen, aber Angst davor haben, etwas falsch zu machen, zu viel zu machen, ihren Hund "auszupowern".

 

Zu einem glücklichen Hundeleben gehört mehr als ein orthopädisches Liegekissen, es nie zu warm, zu kalt, zu anstrengend oder unbequem zu haben. Manchmal ist es genau das, was die leichten Momente erst erfüllend macht: Wenn es mal voll sein darf, füllig, doll, anstrengend, fordernd, frustrierend, nicht leicht, nicht einfach, nicht "ganz ruhig", nur ein bisschen, nur kurz, nur "nicht zu viel". 

 

Ich tue mir schwer damit, diesen Artikel zu posten. Das Risiko, dass aus diesem Artikel ein "Na also, wir sollen eben doch auspowern" gemacht wird und dabei dann aber eigentlich ein "Ich treibe meinen Hund in den Wahnsinn, stresse ihn permanent und verheize jede körperliche Anlage bereits im jungen Alter" bei rauskommt, ist hoch.

Ich wünsche mir, dass ihr wieder mehr differenziert. Dass ihr euren Hunden mehr zumutet. Auch körperlich. Dass ihr natürlich erkennt, wenn euer Hund für etwas ungeeignet, nicht fit genug oder zu alt ist. Dass ihr nachdenkt, bevor ihr mit eurem Hund, was auch immer, macht. Dass ihr aber schon auch ab und zu mal macht. In kleinen Schritten.

Schaut hin und beobachtet, ob die Aktion für die körperliche und mentale Gesundheit eures Hundes eher förderlich war und wiederholt werden sollte oder eben nicht. Holt euch Hilfe bei der Einschätzung.

Aber bitte gebt dem Gedanken eine Chance, dass ein Leben auf Sparflamme, immer mit dem Fuß auf der Bremse für euren Hund möglicherweise sehr traurig, eintönig und nicht sonderlich erfüllend sein könnte. Begriffe wie Stress, Auspowern, Erschöpfung sind immer nur dann Red Flags, wenn du es übertreibst oder ohne Rücksicht auf Verluste agierst. 

Ansonsten darf (meiner Meinung nach) jeder gesunde Hund regelmäßig sehr angestrengt, gefordert und auch todmüde sein, wenn er auf der anderen Seite auch sehr gut beobachtet wird, sich immer noch auch mal zufrieden langweilen kann, ausschläft, normal frisst und kackt.

 

Cheerio,

deine Mela

 

 

 

Augen auf beim Hundekauf

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