Warum wandern hilft
Vor einigen Jahren hatte ich neben meiner Hundeschule übergangsweise eine Physiotherapiepraxis für Hunde übernommen.
Ich beschäftigte mich also sowohl mit diversen Verhaltensproblemen als auch Problemen am Bewegungsapparat und der größte Teil meiner Klientel konnte mit beidem aufwarten.
In dieser Zeit lernte ich, besonders bei den physiotherapeutischen Terminen, viele Hunde kennen, die aufgrund von mangelnder Bewegung kränker waren, als sie es sein müssten.
Dadurch ging es den meisten dieser Hunde auch mental nicht sonderlich gut.
Während dieser Zeit ging ich nach Jahren mal wieder wandern. Keine Riesentouren und mehr zufällig, weil verlaufen, aber meine damals drei Hunde und ich legten fast täglich um die 20 km zurück. In einer einsamen Gegend irgendwo im italienischen Hinterland folgten wir Bachläufen, krochen durch Dornenhecken und fanden zum Glück immer wieder irgendwie zurück.
Ich konnte förmlich dabei zusehen, wie meine drei Stadtköter an Muskelmasse und Geschicklichkeit gewannen. Sie wurden innerhalb weniger Tage ausgeglichener, hielten in den unbekannten Gebieten ihren Radius und orientierten sich an mir oder fanden den besten Pfad. Minutenlang konnte ich garnicht so sehr auf alle drei Hunde achten, weil ich mit mir selbst beschäftigt war und irgendwie spielte sich unser Wanderrhythmus ganz von selbst ein.
Ich war damals sehr unzufrieden mit meiner beruflichen Situation. Nicht, weil ich mir mit meiner Berufswahl unsicher war. Eher, weil es sich so falsch anfühlte, im zweiten Stock einer high-end-Praxis Plastik-Cavaletti aufzustellen oder Hunde im Hydrotrainer einmal die Woche für 20 Minuten unter Wasser zu setzen.
Natürlich haben alle diese Maßnahmen ihre Berechtigung. Je nach Krankheitsgrad, nach Operationen oder Verletzungen ist Physiotherapie meiner Meinung nach ein essentieller Teil der Rehabilitation. Aber eine beachtliche Zahl der Hunde, die ich behandelte -oder für die ich da die vielen bunten Plastikhindernisse aufbaute- litt unter viel mehr als einer schlecht verheilten Verletzung, einem verspannten Rücken oder dem drohenden, zweiten Kreuzbandriss.
Sie waren unterbeschäftigt, unterfordert, unterbemuskelt und untererkannt. Sie wurden geliebt und ihre Halter:innen waren offensichtlich gewillt, eine beträchtliche Summe und auch Zeit in das körperliche Wohlbefinden ihrer Hunde zu investieren.
Wann immer ich gefragt wurde, was sie noch tun könnten. Wie der Hund mit Übungen zu Hause unterstützt werden könnte oder ob -angesichts der notwendigen, regelmäßigen Termine, etwas am preis zu machen sei, gab ich vielen, vielen Hundehalter:innen den Ratschlag: Geht raus!
Die wenigsten haben das umgesetzt. Aber das lag wohl auch ein wenig an der Klientel und auch das ist nochmal ein gaaaanz anderes Thema.
Da war ich nun also wieder in meiner schicken Praxis mit allem Pipapo, hatte die Gelddruckmaschine gefunden (von der man in meiner Branche immer träumt) und kam mir so blöd vor.
Der überwiegende Teil meiner Patient*innen hatte solvente Halter:innen, denen es vollkommen wurscht war, wieviel das ganze Theater kostete. Wirklich krank waren ihre Hunde auch nicht. Ich hätte also in aller Ruhe so weiter machen können. Aber es fühlte sich einfach furchtbar falsch an. Ich wollte kein Teil von etwas sein, was die Symptome von falscher Haltung in Schach hält und die Menschen mit einem guten Gewissen beruhigt.
Die Hunde hingegen werden so halt einfach nur weniger auffällig. Sowohl körperlich als auch hinsichtlich ihres Verhaltens. Aber das Wahre ist es nicht.
Es kam mir so absurd vor, Hunde über künstliche und konfektionierte Hindernisse zu locken, die eigentlich gesund waren und vor allem darunter litten, ihr gesamtes Leben zu wenig oder zu einseitige Bewegung bekommen zu haben. Was diese Hunde vor allem brauchten, war abwechslungsreiche Bewegung an der frischen Luft. Dem ein oder anderen Vierbeiner hätte dann. bestimmt auch die ein oder andere Massage und Anwendungen gut getan. Aber so wurde das Pferd irgendwie von hinten aufgezäumt und ein wesentliches Grundbedürfnis ignoriert.
Natürlich gab es auch die Patienten, denen es wirklich dreckig ging. Die Hunde, für die therapeutische Maßnahmen überlebenswichtig waren, um wieder auf die Beine zu kommen. Aber das war wirklich eher der kleinere Teil.
Jedenfalls führte dieser eher unfreiwillige Italienaufenthalt, in dem ich zufällig so viel gewandert bin dann dazu, dass ich einige Erkenntnisse später und noch einige Entscheidungen später, keine Physiotherapiepraxis mehr haben wollte. Gut so.
Trotzdem möchte ich nochmal betonen: Physiotherapie ist absolut sinnvoll und wichtig. Aber bevor du mit deinem Hund aufgrund degenerativer Prozesse, Verspannungen, diffusen Schmerzen mal hier und da oder Verletzungen in einer (hoffentlich kompetenten) Praxis landest, kannst du sehr viel tun, um genau das zu vermeiden.
Ein wesentlicher Bestandteil der Gesunderhaltung deines Hundes ist regelmäßige Bewegung. Damit meine ich nicht die halb gehetzten, einstündigen Spaziergänge, über die mancher Hund wahrscheinlich schon glücklich wäre, würden sie regelmäßig stattfinden. Ich meine auch keine Monstertouren mit 50 km oder mehr pro Tag. Schon garnicht meine ich den samstäglichen Agilitykurs.
Einfach nur "länger laufen". Ungefähr so lange, dass du denkst: Vielleicht nehm ich doch was zu trinken mit. So ungefähr wäre eine gute Länge für den Einstieg in wohltuende Miniwanderungen.
Benefits of Wandern
Eigentlich ist es ja einleuchtend, dass so ein Lauftier wie der Hund wohl im besten Fall regelmäßig die Möglichkeit hat, was zu tun? Richtig!
Das kostet Zeit und das ist heutzutage ein knappes Gut. Verstehe ich. Dann müssen wir das auch noch mitmachen. Anstrengend. Aber...es hat unfassbar viele Vorteile:
Grundlagenausdauer bei gleichzeitiger Gelenkschonung
Ich bin immer wieder überrascht, wie gut meine Kondition auch in Phasen absoluter Faulheit ist. Das kann ich definitiv auf regelmäßige, ausgedehnte Spaziergänge zurückführen. Wenn du also sonst nicht viel Sport treibst und dein Hund auch nicht, ist Wandern ein toller Einstieg um wieder fitter zu werden und gleichzeitig auch eine Klappe für zwei Fliegen: Der Hund muss eh raus und nervt weniger, wenn er zufrieden ist.
Gehen belastet nicht so sehr wie Joggen und du kannst es zwar beliebig steigern, aber auch genau so passend machen, dass es für sich und deinen Hund zwar fordert, aber nicht überfordert.
Hält dein Hund den Radius und ist abrufbar oder wenigstens leinenführig, könnt ihr euch gemeinsam auf ein Wohlfühltempo einschwingen und Kondition aufbauen.
Sensorische Stimulation
Weißt du, warum Hunde gerne mal streunern? Sie informieren sich damit nicht nur über die aktuellen News aus der Nachbarschaft, sondern möchten Neues entdecken. Ihre Sinne lechzen danach, stimuliert zu werden. Sieht das Auge immer den gleichen Feldweg, riecht die Nase immer die gleichen Gerüche und geht's nur raus, wenn das Wetter passt und dann bitte auf dem breiten Teerweg, ist das langweilig, eintönig und frustrierend. Wir behelfen uns mit einem Podcast. Unsere Hunde verlassen den Weg und machen Sachen, die sie in Konflikte mit uns, anderen Hunden oder der Welt bringen: Abhauen, weit weg zu anderen Hunden rennen, Sch... fressen, jagen gehen und ausgerechnet immer genau auf die Wiese, auf die sie nicht sollen, weil sonst der Bauer (zu recht) schimpft.
Weite Spaziergänge und bestenfalls auch mal in einer fremden Gegend (da reichen für den Anfang ja schon 5 Kilometer weiter rechts oder links auf der Landkarte), bringen Abwechslung für die Sinne: Sensorische Stimulation. Alleine das macht unglaublich zufrieden und befriedigt ein Grundbedürfnis, welches in der Hundehaltung leider sehr stark vernachlässigt wird.
- Gehe mal ganz woanders spazieren und setze dir ein Zeitziel (Beispielsweise: "Ich gehe mindestens eine Stunde, bevor ich umkehre.")
- Biege mal auf Wege ein, die schmaler und vielleicht sogar verwachsen sind und nicht ganz so bequem, wie der breite Hauptweg.
- Eine neue Umgebung lädt zum Schnuppern und Betrachten ein. Plane dafür Zeit ein und gewähre deinem Hund das Erkunden der fremden Umgebung mit der Nase. Es geht beim Wandern mit Hund also nicht unbedingt um's Kilometermachen.
Einlaufen und freilaufen
Das absurdeste, was ich zum Thema Wandern mal von einer Kundin gehört habe war, dass sie mit ihrem neuen Hund bewusst nur sehr kleine Spaziergänge macht, damit er nicht so viel Kondition aufbaut und das dann immer braucht oder gar einfordert. Ich verstehe zwar die Theorie dahinter, aber die Rechnung wird nicht aufgehen. Wer sich dennoch Sorgen ähnlicher Art macht: Bis dein Hund auf Wanderungen in einen Bereich kommt, in dem er konditionell "auftrainiert" wird und dann sozusagen ein kilometerfressendes Sprintbiest wird, bist du vermutlich schon tot umgefallen. Außer du bist die fitteste Person, die ich jemals getroffen habe oder hast einen Mops. Dann ist es umgekehrt. Aber auch das ist ein anderes Thema.
Jedenfalls erfüllst du mit leichten Wanderungen gerade so das Grundbedürfnis eines Durchschnittshundes und musst keine Angst haben, ihn diesbzüglich zu sehr zu "verwöhnen". Im Gegenteil: Hunde, deren Grundbedürfnisse regelmäßig erfüllt werden, können mit frustrierenden Situationen allgemein und Durststrecken was das Entertainment anbetrifft -beispielsweise, wenn man mal krank ist oder im Job mehr eingebunden ist- wesentlich besser umgehen.
Einstündige oder sogar noch kürzere Spaziergänge enden leider meist genau in dem Bereich, in dem Hund und Mensch sich eingelaufen haben. Plötzlich zieht der kleine Oscar garnicht mehr so viel an der Leine, die wilde Leni ist schon zwei mal abgehauen und dippelt jetzt doch lieber an der Schleppleine mit und hört sogar ganz gut, Brunos beginnende Arthrose hat sich warm gelaufen und er könnte noch ewig im Wiegeschritt seine Gelenke schmieren und sogar der sonst so ernste Max, der alle fremden Hunde und Menschen hasst scheint irgendwie befreiter und lockerer.
Verlängere bei nächster Gelegenheit den Spaziergang zu einer Wanderung und genieße genau diese Phase und zieh' sie in die Länge.
Mach aus dem "Am Ende klappt's dann eigentlich immer ganz gut" ein "Hauptsächlich gut". Das hat auch einen weiteren positiven Effekt auf euer Training. Denn je länger und intensiver dein Hund diese guten Verhaltensweisen zeigt und einübt, desto mehr werden diese gefestigt.
Besonders hippelige und reaktive Hunde sollten dazu viele Gelegenheiten bekommen.
Koordination & Verletzungsprophylaxe
Je länger und häufiger du mit deinem Hund unterwegs sein wirst, umso eher werdet ihr euch mal verlaufen, auch mal Wege entdecken, die uneben sind und früher oder später machen auch Höhenunterschiede Spaß. Kurzum: Insofern ihr beide gesund und lediglich eingerostet seid, werdet ihr auch von verschiedenen Untergründen profitieren.
Besonders für Stadthunde ist das so immens wichtig, dass sie Gelegenheit haben zu kraxeln, durch hohes Laub zu marschieren und unebene Untergründe zu bewältigen. Trittsicherheit entwickeln und Untergründe mit Ausrutschpotenzial einschätzen zu lernen, trägt ganz maßgeblich zur Verletzungsprophylaxe bei. Natürlich solltest du dabei in kleinen Schritten steigern und es geht garnicht darum, deinen Hund dauernd querfeldein zu jagen (was meist auch verboten und gegenüber Wildtieren rücksichtslos ist). Aber mal darauf achten zu müssen, wo man seine Pfoten hinsetzt bläst nicht nur das menschliche Köpfchen frei.
- Dein Hund muss mal wieder richtig "die Haxen" heben,
- die Pfotenballen werden durch verschiedene Untergründe verschieden stimuliert, was den Nerven Futter gibt,
- Je mehr Kapazitäten für ein sicheres Vorwärtskommen benötigt werden, umso weniger Zeit bleibt für anderen Quatsch,
- Koordination und Motorik werden gefordert, gefördert und geschult,
- der Gleichgewichtssinn wird stimuliert und die Balance trainiert,
- viele kleine Muskeln und Sehnen müssen sich aufeinander einspielen und werden anders belastet, als beim "vor sich hinschlurfen".
Da du beim Wandern ja meist erstmal eine Weile gehst, ist dein Hund bereits aufgewärmt und der Organismus gut auf kommende, anspruchvollere Untergründe und Hindernisse vorbereitet. Etwas, was in der Physiotherapiepraxis viel zeit in Anspruch genommen hat und aufwändig hergestellt werden musste.
Beziehungsarbeit
Gemeinsam eine ganze Weile in die gleiche Richtung zu gehen verbindet. Ganz automatisch hört man damit auf, Übung an Übung zu reihen und den Hund mit Kommandos zu bombardieren. Es bleibt mehr Zeit den Hund zu beobachten und auch dein Hund lernt dich von einer entspannteren Seite kennen, während du vielleicht auch mit deiner Aufmerksamkeit mehr auf dich richtest.
Gemeinsame Anstrengung und Hindernisse bewältigen verbindet, schafft Vertrauen und ein intensiveres Kennenlernen. Schöne Erlebnisse verbinden sowieso.
Ist Wandern mit dem Hund jetzt also das Allheilmittel? Definitiv nicht. Aber sich auf das zu besinnen, was einem ja eigentlich auch mit als Erstes einfällt, wenn man an Hundehaltung denkt, verbessert die Lebensqualität von Hund und Mensch ungemein.
Es ist eine schöne und umweltschonende Art, sich durch die Natur zu bewegen und auch ganz in der Nähe vom Wohnort, spannende Orte zu entdecken. Besonders für stadtnah oder sogar mitten in der Stadt lebende Hunde ist längeres Laufen in der Natur eine Möglichkeit, sich zu entspannen und den vielen Stadtreizen zu entkommen. Wenn dein Hund also normal gesund und ausgewachsen ist, spricht nichts dagegen, auch mal sehr große Spaziergänge und Wanderungen zu unternehmen. Je regelmäßiger, umso mehr wirst du die positiven Effekte wahrnehmen.
Denn auch hier, wie bei allen Aktivitäten gilt: Einfach starten, langsam steigern und Regelmäßigkeit.
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